Phallozentrisches New York

15. März 2019 New York

„I use the cityscape because it is my own environment, but also it is a visual symbol of male power. The city is made by men and run by men, and its profile can be seen as phallic, all those erect, hard structures.”¹

Das sind die Worte der Künstlerin Anita Steckel. Auf einem ihrer Werke aus den 1970ern schlingt sich ein überdimensionaler Frauenkörper, der typisch feminine Weichheit und Rundheit ausstrahlt, um einen solchen typisch maskulin harten, kantigen Skyscraper. Sie macht ihn sich zunutze, um wie in sinnlichen Turnübungen sich von ihm abzustützen oder um das cineastische Bild eines wiederum maskulinen, animalisch-monströsen King Kong zu appropriieren, der ursprünglich ja auf den Wolkenkratzer klettert, um dorthin sein Weibchen zu entführen, das er in seiner Faust hält. Die Hand der gezeichneten Frau braucht sich nicht zu ballen, und entfaltet sich elegant am Firmament.

Auf einem anderen Bild mit New Yorker Skyline schaukelt ein riesiger Phallus agil auf einem Gebäude, ein anderer spritzt seinen Samen in den Farben der US-amerikanischen Flagge über die urbane Landschaft.

Will man es sexpositiv lesen, erscheint die Stadt als „backdrop for sexual exploration and expression“². Kritischer gesehen parodiert Steckel das phallozentrische Stadtbild, hinter welchem verborgen bleibt, was kleiner und feiner oder leidender ist. Oder bei dem die Großstadt für die Rolle der Frau einerseits vielfältige Möglichkeiten und Freiheiten birgt, diese Freiheiten jedoch vielleicht nur auf das bereits männlich Vorgegebene re-agieren. So ist die Hand der lasziven King-Kong-Frau zwar offen – aber nur, weil es für sie nichts zu greifen gibt, was sie für sich behalten und schützend in ihrer Faust als ihr Eigenes behaupten kann? Wie in einem Mudra bilden nur Zeigefinger und Daumen ihrer Hand einen Kreis – also entweder bleibt ihr nur mit zupfender Geste etwas Kleines Feines zu halten oder sie symbolisiert damit eine Null, ein Nichts. Ist das nun Weisheit oder Verzweiflung? (Beim zweiten Hinsehen dann: Ah! Sie hält einen Pinsel! -> [penellus/penicillus] einen kleinen Phallus, dem seine Kleinheit gar nichts anhat, denn er kreiert und schafft, ja gebiert gar Kunstwerke! Und trotzdem, sie hält ihn so fragil, dass er bald herunterfallen könnte, wie ein Machtspielchen umdrehend.)

Was die Frauen auf Anita Steckels Bildern auf jeden Fall tun, ist, die Stadt mit ihren Phalli zu besetzen. Wie ein Invader nimmt sie den Ort ein, der sie sonst als Künstlerin zu exkludieren meint. Diese Wirkung der Okkupation ergibt sich auch durch die Perspektive. Wir blicken von oben auf die Stadt herab. Die Frauenfigur nimmt das ganze Bild für sich ein. Das ist auf jeden Fall kein auf Enthaltung setzender Feminismus.

Und in dem Porno-Screenshot? So aus der Froschperspektive und der Turm da so allein hinaufragend, mit seinen kalten spiegelnden Flächen und gefängnisartigen Fassaden? Klar, da will sich das Mächtige gleich doppelt mächtig zeigen. Aber dann doch nicht so mutig, dass wir als BetrachterInnen wie vor diesem Erigierten auf dem Boden knien, bereit, ihn in uns aufzunehmen oder uns wie eine Schlange um ihn zu wickeln und emporzurekeln um dann auf seiner Spitze fröhlich unseren oder seinen Saft zu versprühen. Dafür weist er uns zu sehr ab mit seiner arroganten Art. Ist sich selbst genug.

„Ist der Screenshot aus einem Porno oder ein Stock-Photo das beim Stichwort „Wirtschaftskrise“ oder „Karriere“ auftaucht?”

Ok, ein bisschen geil ist es schon, aber da tauchen schon andere Assoziationen auf, die ablenken: jeder blöde Großstadttourist lädt eben so ein Bild auf seinen Instagram-Feed. Und in „Koyaanisqatsi“ erinnern uns solche Schüsse daran, wie die Welt aus den Fugen gerät. Ist der Screenshot aus einem Porno oder ein Stock-Photo das beim Stichwort „Wirtschaftskrise“ oder „Karriere“ auftaucht? Da will also Sex drin stecken in dieser Hochhausaufnahme, aber vielleicht ist der Himmel zu türkis dafür. Am Ende steht der Turm da einfach halt so für sich und der Andere fehlt. Oder die Andere. Womit sich als Moral der Geschicht mit einem Gedicht enden lässt, das den hier fehlenden Barock wieder einholt und bei dem die Allegorien zu architektonischen Phalli auch nicht mehr so kantig wirken, wie Anita Steckel es zuvor beschrieb. Von Rilke (!):

Schwindende, du kennst die Türme nicht.
Doch nun sollst du einen Turm gewahren
mit dem wunderbaren
Raum in dir. Verschließ dein Angesicht.
Aufgerichtet hast du ihn
ahnungslos mit Blick und Wink und Wendung.
Plötzlich starrt er von Vollendung,
und ich, Seliger, darf ihn beziehn.
Ach wie bin ich eng darin.
Schmeichle mir, zur Kuppel auszutreten:
um in deine weichen Nächte hin
mit dem Schwung schoßblendender Raketen
mehr Gefühl zu schleudern, als ich bin.

 

Quellen:
1 Aus: Dorothy Seiberling: „The Female View of Erotica“, New York Magazine (11.02.1974) 55-6.
2 https://www.thecut.com/2013/12/see-anita-steckels-wild-phallic-paintings.html


 

Autorin Beate Absalon

Beate Absalon hat Kulturwissenschaft und Erziehungswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin und Visual Cultures am Goldsmiths – University of London studiert. Sie arbeitet zu Theorien „anderer Zustände“, der Passivität und Sexualität und zur Kulturgeschichte des Gesichts. Im Kollektiv „luhmen d’arc“ organisiert und leitet sie Workshops um Themen zu kreativer Sexualität und Körperarbeit. Sie steht am Beginn ihrer Promotion über zeitgenössische Medien der Sexualbildung und Kunstwerke als eigensinnige Interventionen in hegemoniale Sexualdiskurse.